Vom Schrecken der Tiertransporte

Eng zusammengepferchte Tiere harren in überladenen LKWs aus, oft Stunden und Tage unterwegs zum Schlachthof, gerne auch im Stau stehend bei sengender Hitze. Mehr als 200 Millionen Tiere werden jährlich quer durch Europa transportiert, darunter Schweine, Schafe und Pferde, aber auch Ochsen und Mastbullen. Unter ihnen finden sich trächtige Färsen wenige Wochen vor dem Abkalben oder aber kleine Kälbchen, die noch lange nicht entwöhnt sind. Etwa 100.000 deutsche Schweine überleben jedes Jahr den Transport nicht. Verletzungen, die sich die Tiere während des Transportprozesses zuziehen, sind zahlreich.
In vielen europäischen Ländern klettern die Temperaturen im Sommer an die 40 Grad – zu hoch für die Tiere im Transporter. Hinzu kommen verkotete Tränken voller Stroh, gülleartiges Wasser und eine generell schlechte Versorgung durch das Personal. Mitunter liegen Tiere am Boden und schaffen es aus eigener Kraft nicht mehr auf die Beine. In vielen Fällen ist das ihr sicherer Tod.
Wie kommt es zu derart unwürdigen Zuständen? Vermutlich liegt es vor allem an der nur sehr geringen Kontrolldichte auf den Strecken. Mittlerweile sind weit entfernte Gebiete wie Zentralasien Ziel der Transporte; die Strecken dorthin verfügen kaum über eine angemessene Infrastruktur, um die Tiere auf ihrem weiten Weg versorgen zu können. Das sind Zustände, die die Politik bislang weitestgehend aussitzt, auch wenn die Forderungen mehrerer Parteien, Aktivisten und Tierschutzorganisationen immer lauter werden.

China, 2013, Gansu, Dunhuang,

Lückenhafte Gesetzeslage

Eigentlich sollte mit der EU-Verordnung über den Schutz von Tieren beim Transport doch vorgesorgt sein. Denn die Verordnung regelt den Transport lebender Wirbeltiere innerhalb der Europäischen Union. Die Beteiligten der Transportkette müssen geschult werden, Fahrer und Betreuer brauchen Befähigungsnachweise, die sie nur nach erfolgreich abgeschlossener Prüfung erhalten. Aber auch die zuständigen Behörden haben ihren Teil der Arbeit zu leisten: Während der wichtigsten Phasen des Transports nehmen sie – im Idealfall – umfassende Kontrollen vor, insbesondere an den Ausgangsorten und Grenzkontrollstellen. Weiterhin prüft ein Amtstierarzt den Zustand der Tiere hinsichtlich ihrer Weiterbeförderung.
Die EU-Verordnung über den Schutz von Tieren beim Transport sieht eine verbesserte Ausstattung der Transportfahrzeuge vor. Bestimmte Tiere dürfen laut Verordnung übrigens gar nicht erst verladen werden. Unter anderem betrifft dies sehr junge oder trächtige Tiere.
Die zulässigen Fahrtzeiten variieren je nach Tierart: Tiere, die noch gesäugt werden, dürfen maximal 9 Stunden im LKW ausharren, brauchen dann eine Stunde Ruhezeit mit Tränke, um anschließend weitere 9 Stunden auf Reise zu gehen. Bei Schweinen sind es 24 Stunden Transport nonstop. Der Clou bei der Sache: Die genannten Transportabschnitte dürfen wiederholt werden, sofern die Tiere an einer zugelassenen Kontrollstelle entladen, gefüttert und getränkt werden und sich dann weitere 24 Stunden ausruhen.

Strapazen für die Tiere

Bei deutschlandweiten Kontrollen im Jahr 2015 wurden insgesamt rund 5.000 Verstöße beim Transport von Schweinen, Rindern, Schafen, Ziegen und Geflügel festgestellt. Die Rinder waren in vielen Fällen nicht transportfähig, aus Gründen von Verletzungen und Krankheiten oder weil sie hochschwanger waren. Verletzte Tiere fanden sich ebenso unter den Schweinen. Die Geflügeltiere wurden auf viel zu engem Raum transportiert. Auch die Transportmittel selbst wiesen Mängel auf, insbesondere was die Vorgaben zum Tränken und Füttern betraf. Ruhephasen für die Tiere kamen in vielen Fällen zu kurz. Im europäischen Raum erfolgt der Transport standardmäßig mit ein- oder mehrgeschossigen LKWs. Große Tiere wie Schweine und Rinder werden auf die Etagen verteilt, während kleine Tiere wie Puten und Kaninchen in gestapelten Boxen oder Käfigen befördert werden. Zu solchen Behältnissen hat das Personal in der Regel keinen Zugang, was gegen die Verordnung verstößt. Zudem sind die Boxen und Käfige meist sehr niedrig, sodass die Luft nicht ordentlich zirkulieren kann. So müssen sich die kleinen Lebewesen den wenigen Sauerstoff irgendwie teilen.

Auch das Zusammentreffen mit bisher unbekannten Artgenossen auf solch engem Raum verschärft die belastende Situation. Es kommt zu Aggressionen, denen nicht ausgewichen werden kann. Weitere Strapazen bilden Wartezeiten, Dehydrierung und Hunger, Geburten während des Transportes und mangelnde Betreuung durch das Personal. Nicht selten müssen Tiere während ihrer Beförderung sterben. Beim Geflügel wird eine bestimmte Sterberate sogar fest einkalkuliert. Sie trägt den bedrückenden Namen „Death on arrival“, also „Tod bei der Ankunft“.

Von Kontrollen kaum eine Spur

Nur ein Bruchteil der Tiertransporte wird auf deutschen Straßen kontrolliert. Verstöße gegen das Tierschutzrecht werden dementsprechend so gut wie nie geahndet. An manchen Stellen, das wissen die Fahrer, ist die Kontrolldichte etwas höher. Also nimmt man einen Umweg in Kauf, um sie zu umfahren. 

Die EU-Verordnung schreibt vor, dass den Tieren in bestimmten Intervallen Ruhephasen gewährt werden müssen, in denen sie abgeladen, gefüttert und getränkt werden. Oft sind entlang einer langen Route aber bei weitem nicht genügend Versorgungsstationen vorhanden. Die Konsequenz: Auch das Ausruhen findet auf dem LKW statt.

Dramatisch wird die Situation zudem dann, wenn der Tierschutz an der EU-Außengrenze endet. Denn hier fertigen die Veterinärbehörden die Transporter gerne auch dann ab, wenn die Temperaturen weit über dem Aushaltbaren liegen. Das nordrhein-westfälische Umwelt und Landwirtschaftsministerium sowie das Landwirtschaftsministerium in Niedersachsen untersagen seit Herbst 2019 vorerst die Abfertigung von jenen Transporten, die durch die russische Föderation führen. Grund hierfür sind die nicht vorhandenen Entlade- und Versorgungstationen in Kasachstan und Usbekistan. Was die Tierschutzorganisation PETA seit Jahren kritisiert, scheint nun – zumindest vorläufig – auch von politischem Interesse zu sein.

Wozu all dieses Elend?

Was kennzeichnet die industrielle Landwirtschaft? Ganz einfach gesagt: Das Streben nach ökonomischer Effizienz.

Transportstrecken zu verkürzen stellt ein schwieriges Unterfangen dar. Da sich die Großschlachtbetriebe immer mehr zentralisieren und monopolisieren, haben kleine und regionale Schlachtbetriebe vielerorts aufgegeben. Niedrige Transportkosten führen ebenfalls dazu, dass sich Landwirte nicht unbedingt für den Schlachthof um die Ecke entscheiden.

Übrigens erleben viele Tiere mehr Transporte als bloß den zum Ende ihres Lebens. Die Tierhaltung ist heutzutage hochspezialisiert, was dazu führt, dass viele Betriebe nur noch für einen bestimmten Teil der Erzeugung federführend sind.

Wäre es grundsätzlich eigentlich ein Ansatz, die Tiere nicht lebend, sondern bereits als „fertiges Fleisch“ zu transportieren? Aus wirtschaftlicher Perspektive leider nicht, denn für das Fleisch bräuchte es teure Kühltransporter. Hinzu kommen Kunden aus muslimischen Ländern, die ihre Tiere aus religiösen Gründen selbst schlachten wollen – traditionell ohne Betäubung versteht sich. Und obgleich die betäubungslose Schlachtung in Deutschland grundsätzlich verboten ist, sind Ausnahmeregelungen durch bestimmte Genehmigungen weiterhin möglich.

Was also tun?

Die Politik muss handeln, das steht außer Frage. Es braucht verbindliche Vorgaben der Ladefläche, eine zeitliche Begrenzung der Tiertransporte, ein einheitliches und wirksames Kontrollsystem, welches auch die effiziente Überwachung und Kontrolle der Tiertransporte in Drittländer beinhaltet. Doch solange Strafen kaum verhängt werden und mögliche Sanktionen lediglich aus Ermahnungen bestehen, bringt auch eine wohlwollend klingende Verordnung nichts.

Das schleswig-holsteinische Landwirtschaftsministerium hatte die Ausfuhr von Schlacht- und Zuchttieren in bestimmte Nicht-EU-Staaten im Februar 2019 vorerst untersagt. Eine Debatte sollte ins Leben gerufen werden, die sich mit der Frage beschäftigt, ob Tierärzte Transporte verbieten dürfen, wenn in Drittländern Verstoße gegen das EU-Tierschutzrecht zu erwarten sind. Landwirtschaftsminister Albrecht forderte im März 2019 mit Nachdruck einen dauerhaften, strengen und rechtssicheren Katalog mit Kriterien für die Genehmigung von Tiertransporten in bestimmte Drittländer. Immerhin planen Bund und Länder nun eine gemeinsame Datenbank, die die Veterinäre und Behörden bei der Genehmigung von Transporten unterstützen soll.

Für einen Fortschritt und Wertewandel braucht es also politische Machtworte und konsequente Entscheidungen. Doch auch der Verbraucher kann protestieren. Im Rahmen von Aktivismus oder aber auch bei der Gestaltung der eigenen Lebensweise. Bin ich bereit, meinen eigenen Konsum zu hinterfragen und vielleicht sogar bereit, in weiten Teilen auf Fleisch zu verzichten? Das wären erste wirksame Schritte. Doch die Politik darf gesellschaftliche Fragen wie die des Umgangs mit Tieren nicht einzig und allein zur moralischen Aufgabe des Bürgers machen.

Text: Marlene Apel
Konzept: Lars Boettger