Knebelverträge in der Politik – Bauen am Bedarf und am Klimaschutz vorbei

Vor 4 Jahren habe ich mich entschlossen aktiv in die Politik zu gehen, um meine Erfahrungen gerade aus der Architektur und der Wirtschaft als selbständiger Unternehmer einzubringen. Schwerpunkte sind bei mir seit der Oberstufe Architektur, Digitalisierung und Stadtentwicklung.

Seit 2019 bin ich Mitglied der Bezirksversammlung in Hamburg Altona. Mittlerweile habe ich Einblicke in die verschiedenen Handlungsfelder der Bezirks- und Landespolitik in Hamburg gewonnen.

Erschreckend finde ich die Zusammenarbeit des Senates mit den Bezirken in der Stadtentwicklung und der Gesundheitsversorgung. Die Bezirke sind von allen politischen Ebenen am nächsten an den Menschen dran. Die Politiker*innen in den Bezirken sind vor Ort und im engen Austausch mit den Initiativen, Bildungseinrichtungen, Sozialeinrichtungen und den vielen Kulturellen Einrichtungen. Viele werden durch die Bezirke unterstützt und mit den sog. Politikmitteln der Bezirke teilfinanziert. Ein soziales und kulturelles Angebot wäre in vielen Bereichen ohne diese Befassung durch die Bezirke und deren finanzieller Unterstützung nicht denkbar.

Um diese Politikmittel zu erhalten, muss ein Hamburger Bezirk einen Vertrag unterschreiben. Vertrag für Hamburg heißt der. In diesem Vertrag ist eine Genehmigungsprämie festgeschrieben, derzeit von 250,00€ je genehmigter Wohnung. Jedes Jahr muss jeder Bezirk einen vom Senat und vom Ersten Bürgermeister eingeforderten Anteil an insgesamt 10.000 neuen Wohnungen für Hamburg leisten, um die erwähnten Politikmittel (Sozial- und Kulturmittel) zu erhalten. Für Altona wurden in den letzten Jahren 1.500 Wohnungsgenehmigungen jährlich eingefordert. Die für Hamburg vom Senat geforderten 10.000 Wohnungen basieren auf dem von Olaf Scholz eingeführten Wohnungsbauprogramm. Das ist nichts weiter als ein Strukturvertriebsprämie. Das widerspricht diametral meiner Auffassung von Wichtigkeit und Stellung die der Sozial- und Kultursektor in den Bezirken für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in den Quartieren der Bezirke hat.

Die Zeit hat einen sehr schönen Artikel im Wahlkampf vor der diesjährigen Bundestagswahl geschrieben von Marc Widmann: https://www.zeit.de/hamburg/2021-09/klimaschutz-olaf-scholz-engagement-hamburger-gruene-internes-dokument

Olaf Scholz im Wahlkampf geht an Menschen vorbei, die draußen vor einem Restaurant sitzen und grüßt
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz Anfang August beim Wahlkampfbesuch in Hamburg-Eimsbüttel © Christian Charisius/​dpa

Marc Widmann hinterfragt zurecht wie Scholz sich in seiner Zeit als Bürgermeister für den Klimaschutz engagiert hat, bzw. wie gut er sich hat vom Koalitionspartner, den Grünen, hat überzeugen lassen, Maßnahmen umzusetzen, die die Grünen einfordern. Spoiler: Es war kaum was in Sachen Klimaschutz mit Olaf Scholz möglich, andere Dinge waren immer wichtiger.

Wir in Hamburg wissen also, wie öko Olaf Scholz ist. Sein Wohnungsbauprogramm, jährlich 10.000 Wohnungen in Hamburg bauen zu lassen, das er der Stadt in seiner Amtszeit aufgedrückt hat, ist weder öko und noch sozial gerecht! Bauen allein reicht nicht. Der Bedarf an sozial gefördertem Wohnraum ist deutlich höher als das was gebaut wird. Moderne energetische Maßnahmen beim Bauen werden kaum eingefordert aber sind wichtig, damit die Warmmieten nicht noch weiter steigen. Der derzeitige Erste Bürgermeister Peter Tschentscher führt es unreflektiert weiter. Er fordert sogar von den Bezirken Genehmigungen in Folgejahren nachzuholen, wenn ein Bezirk seine Quote nicht erreicht hat.

In Hamburg hat Olaf Scholz den Vertrag mit der Wohnungswirtschaft verhandeln lassen, der bis heute mit marginalen Änderungen fortgeschrieben wird. In diesem Vertrag fehlen klar soziale und ökologisch dringend notwendige Regelungen. Die vorhandenen Regelungen bringen niemanden weiter, dafür lohnt es sich nicht zu bauen, denn 65% dieser Wohnungen können sich die meisten Bürger*innen in der Stadt nicht leisten.

Konkret: Die Regelungen in dem Vertrag reichen nicht aus um die Klimaschutzziele zu erreichen und sie reichen nicht aus, um ausreichend Wohnungen auf dem Markt für sozial geförderte Mieten anzubieten.

Klimaschutz: Es fehlt in diesem Vertrag die Vorgabe nach Kfw40Plus Passivhausstandard (mit eigener Stromerzeugung über PV Anlagen und aktiver Be- und Entlüftung inkl. Wärmetauscher) CO2 neutral zu bauen. Ohne diesen Standard werden wir auf dem Bausektor die Ziele zum Klimaschutz klar verfehlen!

Mieten: Es wird in diesem Vertrag für Wohnungsbauprojekte bislang mit mehr als 30 Wohnungen ein Drittelmix vorgegeben. Je 1/3 sozial geförderter Wohnungsbau, 1/3 freie Mieten (14-20+€/qm) und 1/3 Eigentumswohnungen. Jetzt in der neuesten Fassung sollen es 35% sozial geförderter Wohnungsbau werden. Bei den wenigen Flächen, die es in den Städten noch gibt, ist das ein fataler Fehler:
35% der Wohnungen, abzüglich derer die aus der Mietpreisbindung herausfallen, stehen den Familien und Menschen mit normalem und geringem Einkommen damit zur Verfügung! Dabei haben über 50% der Menschen in Hamburg einen Anspruch auf geförderten Wohnraum!

„Was viele nicht wissen: Mehr als 50 % der Hamburger haben mit dem Wohnberechtigungsschein einen Anspruch auf eine günstige Mietwohnung in Hamburg. Jetzt auf eine günstige Mietwohnung mit WBS bewerben.“
Quelle: https://wbs-rechner.de/wohnberechtigungsschein-hamburg

Übersicht über Sozialwohnungen: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1084173/umfrage/sozialwohnungsanteil-in-hamburg-nach-bezirken/

Etliche Wohnungen fallen aus der Mietpreisbindung raus, da diese in der Vergangenheit nur auf 10 Jahre festgeschrieben wurden. Dadurch ist die Quote geförderter Wohnungen zum Bedarf trotz aller Neubauvorhaben rückläufig. Bei den neuen Projekte wird versucht, die Mietpreisbindung auf 30 Jahre anzuheben. Nur was dann?
Es wird bei dieser näheren Betrachtung offensichtlich, dass die Anzahl an neuen geförderten Wohnungen jetzt und perspektivisch nicht ausreicht.

Lars Boettger, vor einem Mietshaus mit T-Shirt der Grünen Jugend auf dem aufgedruckt steht: "Die scheiß Mieten müssen unter!"
Foto: (c) Lars Boettger – Es wird größtenteils am Klimaschutz und am Bedarf vieler Menschen in Hamburg vorbei gebaut!
T-Shirt der Grünen Jugend https://gruene-jugend.de/shop/

Wir haben noch nicht darüber gesprochen, wo diese ganzen Wohnungen gebaut werden sollen. Die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen legt jährlich ein Wohnungsbauprogramm auf, das potentielle Flächen zum Bauen ausweist. Hier sind etliche Grünflächen mit Baumbestand und Parkanlagen enthalten! Das ist nicht öko und Peter Tschentscher macht so weiter wie Olaf Scholz begonnen hat! Obwohl im Koalitionsvertrag anderes steht:

„Grundsätzlich wollen wir uns daran orientieren, dass gerade in zentralen, nachgefragten Lagen bis zu 50 Prozent sozialer Wohnungsbau benötigt wird.“ Quelle: https://www.hamburg.de/senatsthemen/koalitionsvertrag/wohnen/

Wir benötigen neue Wohnungen. Allerdings solche, die den sozialen und ökologischen Bedürfniussen der Menschen Rechnung tragen. Es müssen genügend Schul- und Kitaplätze vorhanden sein, in einigen Quartieren ist das nicht so. Viele Quartiere sind in den 60er bis 70er Jahren unter der Neuen Heimat entstanden. Hier ist im heutigen Bestand ein Mangel an Schul- und Kitaplätzen zu erkennen. Die Verkehrsplanung passt lange schon nicht mehr, es fehlen S-Bahn und pünktliche Busverbundungen. Häufig gibt es zudem einen signifikanten Anteil an unsanierten Wohnungen. Auch die Gesundheitsversorgung ist schwach. Es scheit einen Zusammenhang zum Wahlverhalten der Menschen in solchen Quartieren zu geben. Häufig ist die Afd hier zweistellig und die SPD über 40%. Die Proteststimmen an die Afd sind eine Bedrohung unserer Demokratie.

Wenn Olaf Scholz über die Bundesebene jährlich 400.000 Wohnungen bauen lassen will, muss von seinen Koalitionspartnern erreicht werden, dass die städtebauliche Konzeptarbeit durch das Planrecht der Kommunen einen Platz finden kann, und nicht die reine Zahl die Planung dominiert und die Bedürfnisse der Menschen dahinter zurückbleiben.

Ich setze mich leidenschaftlich dafür ein, den Vertrag für Hamburg, den die Stadt mit den Bezirken schließen möchte so zu verändern, dass dem Klimaschutz und den sozialen Bedürfnissen beim Bauen endlich Rechnung getragen wird. Weiter ist mir sehr wichtig, dass das Knebeln der Bezirke in eine wohlwollende Zusammenarbeit verändert wird, in der die Bezirke klare und verlässliche Rahmenzuweisungen für Sozial- und Kulturmittel erhalten und nicht durch Unterfinanzierung sowie ungleiche Bezahlung der Mitarbeitenden ausgebremst werden.

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